Es gibt eine Reihe von Umweltfaktoren, die sich positiv wie auch negativ auf die Gesundheit auswirken können. Während Rauchverbote in öffentlichen Räumen und Altersbeschränkungen bei alkoholischen Getränken für die Risiken mit gesundheitsgefährdenden Stoffen sensibilisieren, bleibt Stress eine weitgehend unterschätzte Größe in der gesundheitlichen Prävention. Stress – besonders dauerhafter Stress – fördert sogenannte Zivilisationskrankheiten wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck und Schlaganfall. Der Anstieg an Kortison vermehrt die Einlagerung von schädlichem viszeralen Fett (das Bauchfett, das die inneren Organe umgibt). Eine Vielzahl von körperlichen wie auch psychischen Beschwerden wird direkt und indirekt mit Stress assoziiert. Gestaltung kann hierbei eine bedeutsame Rolle spielen Stress zu senken – oder aber auch zu steigern. Ein genauerer Blick lohnt sich hierbei:
Gestaltung von Stressoren
Nur wenige Produkte und Systeme lassen sich per se als stressfördernde Objekte bezeichnen. Selbst ein Wecker mit nervigem Piepston kann das beruhigende Gefühl am Abend auslösen, sicherlich pünklich aufzuwachen. Ebenso bietet das Smartphone in vielen Fällen die Gewissheit erreichbar zu sein oder im Bedarfsfall kommunizieren zu können. Und dennoch können diese Technologien durch ihre funktionale und konzeptionelle Beschaffenheit Stress auslösen und verstärken. Entscheidend ist hierbei nicht nur die Funktionalität, sondern oft die Verwendung dieser. Dabei lassen sich natürlich beide Aspekte nicht diskret von einander trennen. Erlaubt beispielsweise das Smartphone durch Push-Nachrichten und andere Funktionen einen ständigen Informationsfluss – auch nicht relevanter Daten, so kann dies leicht zu einem exzessiven Smartphonegebrauch führen. Dies gilt in besonderem Maße für die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen zwischen privatem und beruflichem Kontext. Sind meine beruflichen Mails auch nach Feierabend auf meinem Smartphone verfügbar bzw. wird mir deren Eintreffen dann auch signalisiert, bin ich dazu geneigt, diese auch zu lesen. Dabei erfordert es ein hohes Maß an Selbstkontrolle diesem Drang der Neugierde oder Unsicherheit zum Inhalt der Mail zu wiederstehen, um sie nicht zu öffnen.
Im Sinne einer gesundheitsfördernden Gestaltung sind somit Produktinnovationen immer im Hinblick auf ihre reale Nutzungsweise zu überprüfen. Gestaltete Artefakte stellen immer in Anlehnung an Gibsons Affordanzen, also Handlungsgelegenheiten dar, die dieses Handeln auch suggerieren können. Ein umfassender Blick auf mögliche „Nebenwirkungen“ sinnvoller oder hilfreicher technologischer oder konzeptioneller Entwicklungen soll dabei den Spielraum der Gestaltung nicht grundsätzlich limitieren, sondern vielmehr Anreiz bieten Alternativen und Anpassungen der System-Einstellungen und Verwendungsweisen mitzudenken.
Stressoren als Nebenprodukt der Gestaltung
Unabhängig von der konkreten Funktion eines Produkts oder Systems können stressfördernde Nebenprodukte entstehen. Klassische Stressoren sind in dieser Hinsicht unter anderem Lärmbelästigung, hohe visuelle Komplexität (etwa durch die farblichen, grafische oder allgemein formal-ästhetische Gestaltung) oder auch konzeptionelle Anforderungen an die NutzerInnen (z.B. hoher mentaler Aufwand beim Betrieb eines Produktes). Wer etwa während des lauten Betriebs eines unübersichtlich konzipierten Gerätes mental stark ausgelastet ist das Gerät korrekt zu bedienen, ist langfristig verstärkt Stress ausgesetzt. Kurzfristig ist dies durchaus unproblematisch und in manchen Fällen sogar erwünscht. Der Pilot einer kleinen Propellermaschine kann mitunter den Lärm der Motoren als typisches ästhetisches Element des Fliegens genießen und durch die für den Laien unübersichtlich wirkenden Anzeigen kognitiv angenehm gefordert sein. In diesem Fall kann das Erlebnis dieser ursprünglich als Stressoren bezeichneten Stimuli sogar stressreduzierend sein, indem Faszination und positive Emotionen hervorgerrufen werden. Sind die Stressoren jedoch ungewollt dauerhaft und – vor allem – nicht kontrollierbar (der Pilot kann schließlich auch entscheiden nicht zu fliegen) dann können diese Stimuli zu einer körperlichen und psychischen Belastung werden. Besonders bei der Gestaltung im medizinschen Kontext ist diese Erkenntnis von großer Bedeutung. Stationen wie eine Intensivstation sind bedingt durch ihre funktionale Beschaffenheit umfangreich bestückt mit Geräten und Elementen, die als Stressoren gesehen werden können. Gestaltung kann hierbei gesundheitsfördernde Maßnahmen ergreifen, indem die visuelle Komplexität des Raumen reduziert wird, schallabsorbierende Formen und Materialien eingesetzt werden und konzeptionell auf die Steigerung der subjetiven Kontrollüberzeugung geachtet wird.
Stressreduktion durch Gestaltung
Gestaltung kann dabei nicht nur darauf achten stressauslösende Elemente zu vermeiden, sondern sie kann auch konkret darauf abzielen Angebote zu erzeugen, die Stress aktiv reduzieren. Ein Beispiel stellt hierbei die „Attention Restauration Theorie von Kaplan und Kaplan“, die betonen, dass eine sanfte Faszination („soft fascination“ ) etwa durch den unmittelbaren Kontakt zur Natur stressreduzierende Wirkung haben kann. Gestalterische Elemente, die in diesem Sinne ein zweckfreies Interesse hervorrufen, also Beschäftigung ohne Leistungsdruck provozieren, können somit einen positiven Einfluss auf den individuellen Stresslevel haben. Umfassend wird dieser Ansatz auch im „biophilic Design“ verfolgt (z.B. Ryan et al., 2014). Dabei werden natürliche Elemente unmittelbar in den Entwurf eingebunden oder durch abstrahierte gestalterische Zitate (z.B. Muster) darauf verwiesen. Zahlreiche Studien zeigen eine stressreduzierende Wirkung natürlicher Elemente (z.B. visueller Bezug zu Wasser, abwechslungsreiche Flora, usw.). Im therapeutischen Setting wird dies z.B. durch sogenannte „Healing Gardens“ etwa in Krankenhäusern eingesetzt, um den Therapieverlauf positiv zu unterstützen.
Eine etwas komplexere Herausforderung stellt der Versuch dar, durch konzeptionelle gestalterische Lösungen effektiv Stress zu reduzieren, indem etwa stressreduzierendes Verhalten stimuliert wird. Ein solches Beispiel aus der virtuellen Welt stellen Apps dar, die Übungen zur Meditation oder Achtsamkeit anleiten und durch Werkzeuge wie Gamification motivieren diese Übungen dauerhaft zu betreiben. Auch die gestalterische Inszenierung und das Redesign alter Technologien kann einen derartigen Effekt erzielen. So kann der Trend zu Schallplattenspielern einen anderen, vielleicht auch bewussteren, Genuss von Musik erzeugen, der durch seine technischen Gegebenheiten mehr Zeit erfordert und dadurch entschleunigt. In beiden Fällen beeinflusst die Gestaltung das Verhalten und kann dadurch (gewollt oder zufällig) stressreduzierende Funktionen einnehmen.