Nicht erst seit Fridays for Future spielen Bedenken zum Umweltschutz und dem Klimawandel eine relevante Rolle in der Designmethodik. Dabei hat sich in den letzen Jahrzehnten eine Vielzahl von Herangehensweisen und Zielsetzungen entwickelt, deren tatsächliche Effektivität in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung aus heutiger Sicht nicht immer gewährleistet war. Die Beziehung zwischen Nachhaltigkeit und Gestaltung ist komplex, vielschichtig und äußerst wichtig. Und –  bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass Nachhaltigkeit in der Gestaltung auch immer eine Schnittstelle zur gesundheitsfördernden Gestaltung besitzt.

Die Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 eine Resolution („Transforming our World“), mit der sie die sustainable Development Goals definierten und damit konkrete Stellschrauben und Zielpunkte für eine nachhaltige Entwicklung formulierten. Die 17 Ziele („Sustainable Development Goals“, kurz „SDGs“) und ihre zahlreichen Unterpunkte berücksichtigen dabei neben dem Schutz der Umwelt auch soziale Aspekte wie Arbeits- und Lebensbedingungen und den Zugang zu sauberem Wasser. Ein Blick in diesen Bericht oder die damit verbundene SDG-Website der UNO lohnt sich schon alleine deshalb, weil deutlich wird, wie umfangreich und vielfältig das aktuelle Verständnis des Begriffs „Nachhaltigkeit“ tatsächlich ist. Denn nein, es geht nicht um Glühbirnen und Plastikstrohhalme, sondern um nicht weniger als die langfristige Existenzsicherung und Befriedung der Welt.

Betrachtet man aktuelle Ansätze einer Gestaltung für nachhaltige Entwicklung (z.B. Ceschin und Gaziulusoy, 2016), zeigt sich vor allem ein systemischer Ansatz, der unterschiedliche Akteure und Anforderungen versucht zu verbinden, um neben den ökologischen Zielsetzungen auch nachhaltige Geschäftsmodelle zu etablieren. Diese designmethodische Tendenz basiert auf dem Bewusstsein, dass isolierte Maßnahmen, die sich auf einzelne Nachhaltigkeitsprobleme konzentrieren, zu kurz greifen und unter Umständen negative Folgen an einer anderen Stelle mit sich bringen.

Die SDGs der UNO bieten eine gute Möglichkeit für die Gestaltung, klare Ziele und Anforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu finden. Viele dieser Anforderungen dienen dabei nicht alleine einer Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit, sondern fördern gleichermaßen die Gesundheit bzw. tragen zu einer Erhaltung dieser bei. Zum einen zeigt sich dies bereits in SDG 3, das mit „Good Health and Wellbeing“ konkret die Gesundheit und Lebensqualität als Maßstab einer nachhaltigen Entwicklung beschreibt. Gesundheitsförderung selbst ist somit bereits eine Facette einer Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit. Aber auch die Reduktion von human- und ökotoxikologischen Gefahren (u.a. SDG 14 und 15) trägt zum Schutz der Gesundheit bei. Dies gilt ebenso für den Zugang zu sauberem Wasser (SDG 6), denn nur so kann ein notwendiger Hygienestandard gewährleistet werden. Und Bildung (SDG 4) ist nachweislich ein Faktor, der sich auf die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten auswirkt.

Es ließen sich an dieser Stelle noch zahlreiche weiterer Aspekte und Beispiele benennen, die sich direkt oder indirekt auf die Gesundheit auswirken können. Insgesamt zeigt sich dabei, dass Nachhaltigkeit auch in der Gestaltung keine Modeerscheinung, kein Trend und erst recht keine Nische ist, sondern ein zentrales Kriterium, das sich auf alle Ergebnisse gestalterischer Prozesse beziehen sollte. Wie bereits Papanek 1985 in seinem Standardwerk „Design for the Real World“ beschrieb, kann die Gestaltung hierbei einen häufig unterschätzten Einfluss haben. Doch wie lässt sich das konkret umsetzen?

 

Praxis einer nachhaltigen Gestaltung

Unzählige Bücher und Studien beschreiben Methoden und Prinzipien einer Gestaltung für Nachhaltigkeit. Wärend sich das Feld in den vergangenen Jahrzehnten stark entwickelt hat, wächst auch das Bewusstsein, dass die Reduktion schädlicher Materialien und die Einsparung von Energie und Emissionen alleine nicht ausreichen, um Gestaltung in Richtung Nachhaltigkeit effektiv umzusetzen. Vielmehr geht es um ein Denken in Systemen. Dies umfasst unterschiedliche Akteure, Wechselwirkungen und Ebenen staatlichen, wirtschaftlichen und privaten Handelns. In diesem Sinne kann Gestaltung bewusstere Lebensstile fördern und das allgemeine Verhalten in Bezug auf Ressourcen und Emissionen beeinflussen (z.B. Lockton, Harrison und Stanton: 2010). Ebenso können dabei Konzepte entstehen, die durch neue Dienstleistungen und Kreisläufe eine veränderte Systemstruktur etablieren. Ein methodisches Beispiel hierfür sind Product-Service-Systems, die einen Paradigmenwechsel darstellen, bei dem Kunden keine Produkte erwerben, sondern hauptsächlich deren Funktion für eine bestimmte Dauer kaufen. Statt einer Waschmaschine kauft man demnach z.B. einfach 1000 Waschgänge. Ist die Maschine vorher kaputt, wird sie vom Anbieter ausgetauscht. Konzepte wie diese stellen neue Anreizstrukturen für die Hersteller dar, bei denen Aspekte wie geplante Obzoleszenz nicht mehr rentabel sind.

In allen Fällen gilt zu beachten, dass Dienstleistungen, Produktinnovationen und Verhaltensweisen keine isolierten Elemente sind, sondern systemischen Wechselwirkungen folgen und verursachen. Wer Anreize zu einem bestimmten Verhalten schafft, muss gleichzeitig auch mitdenken, welche Konsequenzen extreme Ausprägungen dieses Verhalten hervorrufen oder welche Verhaltensalternativen mit dieser Anreizstruktur verbunden sind. Ein Verbot von Plastiktüten kann in diesem Sinne zu einer steigenden Popularität von Papiertüten führen. Oft wird übersehen, dass diese Absatzsteigerung der mit Klebstoff verstärkten Papierprodukte in Konkurrenz zu den ökologisch sinnvolleren Mehrwegjutetaschen steht. So wird deutlich, dass ein systemischerer Blick hierbei wohl einen besseren Ansatz für eine Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit hervorgebracht hätte.

 

Für die gesundheitsfördernde Gestaltung bedeutet das…

So wie die Schlagworte „Nachhaltigkeit“ und „Klimaschutz“ sind auch Aspekte der Gesundheitsförderung und Risikovermeidung elementarer Bestandteil einer durchdachten und systemisch orientierten Gestaltung. Sie sind nicht nur untrennbar miteinander verwoben, sondern bedingen sich in vielen Fällen. Direkte Beziehungen zwischen Nachhaltigkeit und Gesundheitsförderung bilden dabei selbstverständlich die Vermeidung von Risiken wie Schadstoffen, Hygienemängel und die Grundversorgung der globalen Bevölkerung. Ebenso verfolgen Paradigmen der gesundheitsfördernden Gestaltung, wie beispielsweise das Biophilic Design, Ziele, die in vielen Bereichen zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können.

 

Eine derzeit populäre Strategie im Bereich der Nachhaltigkeit ist die Förderung lokaler Strukturen. Dabei wird zum Beispiel angestrebt, Quartiere und Innenstädte attraktiver zu gestalten, damit VerbraucherInnen eher lokal konsumieren und somit Emissionen für Onlineversand und weite Fahrten reduziert werden. Dies geht einher mit der Verkehrswende und dem Ausbau von ÖPNV und elektrifiziertem Individualverkehr für die „letzte Meile“. Eine solche Umgestaltung kann dabei auch den umfassenden Wissensfundus der gesundheitsfördernden Gestaltung nutzen, um die Walkability zu steigern und aktivere Lebensstile zu fördern. Organisationen und Initiativen wie das „Center for Active Design“ oder „Healthy Active by Design“ haben hierzu beispielsweise bereits zahlreiche open-access Publikationen veröffentlicht, die pragmatische und effektive Methoden erläutern. Hervorzuheben sind hierbei unter anderem die „Active Design Guidlines“.

 

Entscheidend ist dabei eine Sensibilität für Systeme und Wechselwirkungen. Gestalterische Maßnahmen wirken nie abgeschlossen auf einen einzelnen Aspekt, sondern sollten stets als Element eines mehr oder minder komplexen Systems betrachtet und gestaltet werden. Wer etwa Pop-Up-Cafés und mobile Gastronomie in vernachlässigten öffentlichen Plätzen und Parks nutzt, um aktivere Quartiere zu entwickeln, fördert vielleicht einerseits die lokale Wirtschaft und die Sozialität der Anwohner, verursacht jedoch unter Umständen eine Schwächung der etablierten Anbieter, einen steigenden To-Go-Becher-Verbrauch und eine Abfallproblematik, die weitere Konsequenzen mit sich bringt. Dieses stark vereinfachte Beispiel soll verdeutlichen, dass es einer intensiven Auseinandersetzung mit Kontext, NutzerInnen und System erfordert, um wirksame und nachhaltige Konzepte zu entwickeln. Dies bezieht sich auf alle Formen der Gestaltung. Empirische Forschungsmethoden und systematische Analyseprozesse können dabei für die Gestaltung hilfreiche Werkzeuge darstellen (Methodenübersicht hier). Genau hier sollte auch eine empirische und wissenschaftlich informierte Designforschung ansetzen. Nur wenn Rahmenbedingungen und Beziehungen verstanden wurden, kann Gestaltung ihr volles Potential entfalten.

 

Hier werden auch Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen Nachhaltigkeit und Gesundheitsförderung deutlich: Indem Gestaltung beispielsweise Verhaltensweisen, Routinen und Einstellungen beeinflusst, können Aspekte des Gesundheitsverhaltens auch synergetisch unterstützen. So ist etwa die Mobilität selbstverständlich gleichermaßen für Umweltaspekte wie auch die individuelle Gesundheitsförderung relevant, wenn vom Auto auf Fahrrad oder Fuß umgestiegen wird. Häufig spielen hierbei aber auch zentrale Themen der gesundheitsfördernden Gestaltung eine entscheidende Rolle für die Nachhaltigkeit, was zum Beispiel der Themenkomplex Barrierefreiheit verdeutlicht. Indem nämlich Strukturen und Anreize geschaffen werden, die beispielsweise eine stärkere soziale Teilhabe und höhere lokale Mobilität für alle ermöglichen, können damit auch nachhaltige Verhaltensweisen unterstützt werden. Erschwingliche, emissionsarme und einfach zugängliche Nahverkehrsangebote zählen ebenso hierzu, wie Initiativen, die regionalen Konsum und BürgerInnenbeteiligung fördern. Egal ob Leihsysteme, kooperative Unternehmungen oder nachhaltige Geschäftsmodelle. Gesundheit wird dort gefördert und erhalten, wo Menschen angeregt werden sozialen Austausch und Unterstützung zu suchen, aktivere und bewusstere Lebensstile zu verfolgen und dabei Risiken, Stigmata und Benachteiligungen abgebaut werden.